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Zwillingsneid - Der winzige Punkt im Blau
Deine Augen starren ins Leere. Deine Hände liegen verkrampft auf der zu weißen Bettdecke. Wenn ich über deinen warmen Handrücken streiche, hoffe ich noch immer auf ein Zeichen. Doch da ist nichts.

Ich sehe dich an. Du hast die gleichen Augen wie ich, nur dass bei dir ein winziger brauner Punkt wie eine kleine Insel im Blau deiner Iris zu sehen ist. Dieser Punkt ist fast das Einzige, was uns unterscheidet und ich war immer ein wenig neidisch auf diese kleine Extravaganz. Jetzt sitze ich hier, ohne eine Insel, aber mitten in der Welt. Ich sehe mich in dir. Was machst du in deiner Stille? Seitdem du in deiner eigenen Welt lebst, habe ich gelernt, was Stille ist. Du bist der Ältere und mir immer einen Schritt voraus.

Während dich ein Pfleger wäscht, sehe ich, dass das Blau deiner Augen dunkler wird. Du magst es nicht, dass dir jemand mit ruppigen Bewegungen mit einem Waschlappen durch das Gesicht fährt. Ich würde es auch nicht mögen. Ich schicke den Pfleger weg. Der winzige braune Punkt, der wie eine Insel im Blau deiner Iris schwimmt, blitzt flüchtig. Ich lege meinen Kopf neben deinen. Ganz nah, so dass ich dich riechen kann. Am liebsten würde ich meinen Bauch an deinen drücken, so, wie wir es vielleicht schon vor unserer Geburt getan haben. Aber das geht wegen der Apparaturen nicht. So liegen wir nun Kopf an Kopf. Von hier aus kann man den Mond sehen. Wenn du zu mir zurückkommst, komme ich dir entgegen, wo auch immer, und hole dich ab.

Aus Anthologie „Grenzlicht“. Hrsg. Von Alfons Huckebrink und Frank Lingnau. Edition Wasserburg, 2009.
ISBN 978-3-9812570-5-2